Manchmal denke ich über Ereignisse nach, die zwar nie eingetroffen sind, aber hätten eintreffen können. Wenn eine einzige Entscheidung ganze Karrieren nachhaltig beeinflusst und verändert, wenn man zu schnell nur noch an das Geld denkt und die Musik plötzlich zur Nebensache wird und warum man statt der Musik, für die man einst gelobt wurde, sich plötzlich dem Mainstream anpasst und nur noch Lieder für Playlisten und Radiostationen macht. Was wäre, wenn manche Rapper einen anderen Weg eingeschlagen oder sich für ein anderes Label entschieden hätten? Wie würde Ihre Karriere heute aussehen?
Das frage ich mich zum Beispiel bei F.R., den man heute vielleicht (hoffentlich aber nicht) als Fabian Römer kennt. F.R. galt als das „Wunderkind“ des Deutschraps. Bis heute gab es vermutlich keinen weiteren so jungen Rapper, mit der Technik, dem Flow, dem Wortwitz und dem Vokabular eines jungen F.R.. Im Alter von 13 gab es bereits Tracks von ihm, wo er 80 Reime auf das Wort „Kanarienvogel“ gefunden und gerappt hat. Fleißig war er ebenfalls. Beinahe im Wochentakt kam neue Musik des Braunschweigers, der von Zeit zu Zeit älter wurde, seine Musik thematisch mehr und mehr an das „Erwachsen werden“ richtete, aber dennoch weiter seiner Linie treu blieb. Diesen Weg führte er bis 2011 fort, sein Album „Ganz normaler Wahnsinn“ bescherte ihm übrigens seine erste Top 10 Platzierung in den Charts, also Bruder, was zum Henker war der Anlass für den anschließenden Umschwung?
Nachdem Fans jahrelang mit konstantem Output versorgt wurden, und auch F.R. sich mit zunehmender Aufmerksamkeit belohnen konnte, war plötzlich Stillstand. Es passierte einfach über Jahre hinweg gar nichts. Und warum? Vermutlich weil F.R. unter anderem das Ghostwriting für sich entdeckte. Plötzlich war man Teil von Songwriter Teams in Berlin und schrieb die Balladen für Popstars, die wir hier alle sicherlich mehr als nur verfluchen. Bei Namika wurde so ziemlich alles geschrieben und auch bei Helene Fischer brachte er einige Songtexte unter. Klar, verdient man an diesen Songs ein ordentlichen Haufen Kohle, aber dafür seine eigene Karriere, für die man sich fast zehn Jahre komplett abgearbeitet hat, aufs Spiel setzen und so zu vernachlässigen? Es gibt wirklich wenige Rapper, bei denen eine so lange Pause ohne Konsequenzen bleiben könnte. Aber bei einem F.R., der sich gerade erst im Aufschwung befand einfach mal vier Jahre keine eigene Musik zu releasen und stattdessen lieber für Helene Fischer zu schreiben, das kann doch niemals eines der Ziele gewesen sein, die ein hungriger, junger F.R. im Alter von 16 Jahren hatte.
Als dann endgültig nach vier Jahren Pause das neue Album für 2015 angekündigt wurde, hat sich dann auch ganz schnell gezeigt, dass sich der Abwärtstrend leider fortsetzen wird. So ziemlich jedes Klischee, welches über Rapper, die nun der Musik wegen nach Berlin ziehen und sich als erwachsen verkaufen, wurde erfüllt. Fabian Römer, statt F.R., statt Baggys und Caps Hemden und Polos, ein neues Auftreten als Musterschwiegersohn und in jedem Interview werden nun die selben abgehobenen Phrasen erzählt, für die er sich selbst wohl nur wenige Jahre zuvor geschämt hätte. „Man arbeite nämlich nun mit RICHTIGEN Instrumenten!„. So oder so ähnlich klingen nun die Aussagen. Dass sich das ganze zwar absolut nicht anders oder gar besser anhört, als zuvor mit dem Drumpad, sei einfach mal dahingestellt. Seine Produzenten, die Beatgees, erlebten wohl im selben Zuge einen ähnlichen Wandel. Während man damals noch die Rap-Beats für u.a F.R. produzierte, finden sich heute nur noch die alle gleich klingenden Künstler der Popbranche in den Berliner Studios wieder um auf Teufel komm raus den nächsten Radiohit zu produzieren.
Und um den Bogen wieder zu spannen: Ich bin mir sicher, dass wir mit F.R. in der Rapszene einen großen Künstler verloren haben, der in den Folgejahren vermutlich seinen Erfolg stetig hätte steigern können, der sich auch nie zu schade für Szenekritiken wäre und den Ganzen „Technik“-Rappern zeigen könnte, wie man diese mit guten Aussagen sogar zu hörbaren Songs vollendet. Dass er das immer noch drauf hat, zeigte er mit dem Track „Kalenderblätter“ doch sehr gut, allerdings geht auch dieser Song zwischen den ganzen Pinterest Girly-Lines a la „Dreh den Nebel um, dann steht da das Leben, rückwärts gelesen“ unter.
Und für alle unsere Leser, die F.R. nicht von Begriff ist, hier noch ein etwas älterer Song, für den auch wir ihn damals zurecht gefeiert haben.